Ansätze zur Reduzierung von Plastikmüll im globalen Süden

Ansätze zur Reduzierung von Plastikmüll im globalen Süden

Das Thema Plastikmüll wird meist mit Blick auf die Industrienationen diskutiert, die auch am meisten Kunststoffe produzieren und konsumieren. Aber auch im globalen Süden sind Kunststoffabfälle ein Problem, für das dringend Lösungen gefunden werden müssen. Erste Ansätze gibt es bereits.

Weltweit werden nur etwa neun Prozent der produzierten und konsumierten Kunststoffe recycelt. 12 Prozent werden zwecks Energiegewinnung verbrannt, der große Rest (79 Prozent) landet auf Deponien oder in der Umwelt. Das liegt auch daran, dass zahlreiche Länder des globalen Nordens große Mengen ihres meist ungereinigten, unsortierten Plastikmülls in Länder auf der Südhalbkugel exportieren – dort existiert jedoch keine nennenswerte Recycling-Infrastruktur. Derweil findet die Wertschöpfung, die aus der Produktion der Kunststoffe und deren Veredelung resultiert, vorwiegend im globalen Norden statt. Es liegt also ein klares Missverhältnis im Sinne eines Verursacher- und Nutznießerprinzips vor. Und die Kunststoffabfälle an sich – ob aus dem eigenen Land oder importiert – bergen weitere Herausforderungen für den globalen Süden.

Dass diese massenweise in Flüssen und Gräben landen, ist dabei nicht nur ein ästhetisches Problem. „Sie wirken sich auch negativ auf verschiedene Wirtschaftszweige aus, etwa die Fischerei und Aquakultur, die Energieproduktion und die Schifffahrt“, sagte Justice Kofi Debrah bei dem Webinar „Opportunities and Limits of a Plastic Emissions Budget“. Der Ghanaer arbeitet an der University Fernando Pessoa in Porto zu den Themen Abfallmanagement sowie Ökologie und Umweltgesundheit. Er machte auch darauf aufmerksam, dass ungereinigte, gammelnde Plastikabfälle auch eine willkommene Brutstätte für Moskitos und damit eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit sind.

Die Probleme mit Kunststoffmüll zeigen sich auch in Ghana: Eine Million Tonnen jährlich produziert das Land selbst, 2,58 Millionen Tonnen werden importiert. Aktuell werden in dem Land etwa fünf Prozent Altkunststoffe recycelt. Doch es entstehen immer mehr Initiativen, die Kunststoffabfälle für neue Produkte nutzen, wie der ebenfalls ghanaische Umweltwissenschaftler Godfred Kwesi Teye von der Hohai University in China berichtete: Gereinigte und geschredderte Plastikabfälle werden beispielsweise zu Straßenpflaster verarbeitet. Diese spezielle Pflastersorte besteht dabei zu 70 Prozent aus den geschredderten Kunststoffen, zu 30 Prozent aus Sand, ist somit wasserdurchlässig – und ein idealer Bodenbelag für Gegenden, in denen es häufiger zu Überflutungen kommt. Aus recyceltem Kunststoff werden außerdem Konsumprodukte wie Spielzeug oder Taschen hergestellt.

Nützlich sind solche Ansätze nicht nur, um Plastikabfälle zu reduzieren. „Menschen, die Plastikmüll sammeln, werden dafür bezahlt, es entsteht also mehr Beschäftigung“, betonte Godfred Kwesi Teye. Dabei werde auch der soziale Zusammenhalt zwischen den Menschen und deren Umweltbewusstsein gestärkt. Allerdings handelt es sich dabei um unqualifizierte Tätigkeiten, die keine langfristige strukturelle Verbesserung  bringen. Um hier weiterzukommen und generell die Plastiknutzung weiter zu optimieren, so der Wissenschaftler, sei dringend verstärktes politisches Handeln nötig, etwa der Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur, um Kunststoffe kreislauffähig zu machen. Um diesen Aufbau zu finanzieren, sei auch der globale Norden in der Verantwortung.

Recyceln kann allerdings nur eine Teillösung sein, um Plastikmüll zu reduzieren. Auch die Nutzung von Kunststoffen insgesamt muss deutlich zurückgehen. Einen spannenden Ansatz dazu stellte bei dem Webinar Jürgen Bertling vom Fraunhofer Institut UMSICHT vor: das Plastikbudget. Zur Quantifizierung einer akzeptablen Verbrauchsmenge von Kunststoffen hat das Projekt PlastikBudget zwei Werkzeuge entwickelt: den Plastic Pollution Equivalent (PPE), der die Auswirkungen von Kunststoffen bemisst, und das Plastic Pollution Budget (PPB), das auf Basis des PPE errechnet wird. Das PPB kann genutzt werden, um maximale Plastikemissionsmengen etwa für Individuen, Branchen oder Länder festzulegen. Den PPE definierten die Forschenden als Summe aller Emissionen, die aus einem Produkt, Prozess oder Service hervorgehen und in ein bestimmtes Umweltkompartiment eingehen, z.B. Boden oder Luft, multipliziert mit ihrer Verweildauer.

Bisher basiere allerdings noch vieles auf Schätzungen, und für eine sinnvolle Berechnung sind noch mehr Daten nötig, sagte Jürgen Bertling. Zum Beispiel bei der Vermüllung: Es ist unklar, wieviel loser Kunststoffabfall nicht eingesammelt wird und endgültig in der Umwelt landet. Nach dem Konzept des PPE wäre zum Beispiel Autofahren besonders schädlich (PPE 16,5 kg), aber ebenso das Kaffeetrinken aus To-go-Bechern (PPE 13,5 kg). Das PPB wiederum basiert auf dem Ziel einer tolerablen Menge von Plastik in der Umwelt. Die Grundüberlegung lautet: Wir können Plastik, das bereits in die Umwelt gelangt ist, praktisch nicht mehr dort herausbekommen, also müssen wir dafür sorgen, dass möglichst wenig Kunststoffe hinzukommen. Pro Kopf weltweit errechneten die Forschenden ein Plastikbudget von jährlich 32 kg PPE. Das entspricht – siehe oben – der Nutzung eines Autos und von zehn Wegwerf-Kaffeetassen. Eine drastische Reduzierung unserer Kunststoff-Nutzung ist notwendig: „Das geht nur mit einer Kombination mehrerer Strategien: weniger Plastik nutzen und mehr abbaubare Kunststoffe einsetzen“, sagte Jürgen Bertling. Derzeit liege deren Anteil allerdings bei weniger als einem Prozent, weswegen mehr und besser abbaubare Kunststoffe entwickelt und sinnvoll eingesetzt werden müssten.

Für diese Strategien spielt natürlich auch eine Rolle, wie Plastik generell wahrgenommen wird, und was dies für einen sinnvollen regulativen Umgang mit dem Plastikproblem bedeutet. Diese Fragen stellte Dr. Stefan Schweiger vom Institut ForTraNN der Technischen Hochschule Ingolstadt und der AG Gesellschaft und Nachhaltigkeit im Wandel der Ruhr-Universität Bochum. Er warf dafür zunächst einen Blick in die Geschichte des Plastiks vom „Material der großen Beschleunigung“ nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum „Problemstoff“ heute. Heute seien Toxizität und Persistenz von Plastik in der Umwelt noch nicht ausreichend erforscht, jedoch sei dieses „Noch-Nicht-Wissen“ kein Grund zur Sorglosigkeit.  Viele Menschen nähmen das Thema nicht als eines wahr, das direkt mit ihrem Leben zu tun habe: „Die Ozeane und der darin schwimmende Kunststoffmüll scheinen weit weg zu sein. Wir müssen das Problem zurück zu den Menschen tragen, ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es direkt vor ihrer Haustür beginnt“, riet Stefan Schweiger bei dem Webinar.

Dies reicht von Mikroplastikemissionen durch Reifenabrieb beim Autofahren oder Schuhabrieb beim Wandern über die Verteilung von Plastikpartikeln beim Trimmen des heimischen Rasens oder bei der Benutzung von Fliesenradierern bis hin zu bei Hochzeiten aufsteigenden Herzluftballons. Hier könnte die Ermittlung eines Pro-Kopf-Budgets für Kunststoffemissionen und auch nationale Budgets sinnvoll sein. Ein entsprechendes Konzept müsste laut Stefan Schweiger dabei so gestrickt sein, dass es für die Bürger*innen handhabbar ist. Jürgen Bertling zeigte sich allerdings überzeugt, „dass wir in Zukunft nicht ohne eine umfassendere Buchführung unseres eigenen Lebensstils und Konsumverhaltens auskommen werden“. Dazu gehöre es, neben einem Abgleich von Einkommen und Ausgaben die verursachten Treibhausgase, den eigenen Wasserverbrauch und eben auch die verantworteten Kunststoffemissionen zumindest grob zu kennen und mit entsprechenden Budgets zu vergleichen.

Unsere finanziell geprägte Sichtweise auf unser Konsumverhalten entsprechend weiterzuentwickeln, ist ohne Zweifel eine enorme kulturelle Herausforderung. Bewältigen wir sie nicht, ist eine nachhaltige Entwicklung aber kaum erreichbar.

Text von Wiebke Peters

Foto von Ariungoo Batzorig auf Unsplash

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