Reifenabrieb hat den größten Anteil am Mikroplastikeintrag in die Umwelt

Reifenabrieb hat den größten Anteil am Mikroplastikeintrag in die Umwelt

Diese Zahl überrascht: Jedes Jahr gelangen pro Bundesbürger etwa 1,2 Kilogramm Reifenabrieb, also Partikel, die durch das Reiben von Autoreifen auf dem Straßenbelag entstehen, in die Umwelt. Damit belegt Reifenabrieb Platz eins unter den Emissionen von Mikroplastik.

Es besteht also Handlungsbedarf – doch um geeignete Maßnahmen zu entwickeln, braucht man belastbare Daten darüber, wo wieviel Reifenabrieb entsteht und wie er sich in die Umwelt verteilt. Im Projekt „Reifenabrieb in der Umwelt“ (RAU) haben Forschende der TU Berlin gemeinsam mit Kooperationspartnern aus Wissenschaft und Industrie untersucht, wo im Straßenverkehr besonders viel Reifenabrieb entsteht, auf welchen Wegen er in die Umwelt gelangt und wie er effektiv beseitigt werden könnte. Die Ergebnisse wurden im Sommer 2021 bei einem Webinar vorgestellt.

Reiben Gummi und Straßenbelag aneinander, entsteht je nach Gewicht des Gefährts, Tempo, Art des Untergrunds und weiterer Einflussfaktoren ein Abrieb, der etwa jeweils zur Hälfte aus Reifengummi und Fahrbahnbelag zusammengesetzt ist. Durch Abschwemmung per Regenwasser wird der Abrieb weitertransportiert und sammelt sich in der Kanalisation. Das dabei entstehende Abwasser ist hoch problematisch, denn meist leiten Regenwasserüberläufe in Gebieten mit Trennsystemen von der Straßenoberfläche ablaufendes Wasser mitsamt dem Abrieb direkt in Gewässer ein. In Städten mit Mischsystemen, bei denen Regen- und Schmutzwasser gemeinsam abgeführt werden, kann das auch passieren, wenn bei Starkregen die Klärwerke überlastet sind.

Reifenabrieb entsteht nicht gleichmäßig. Im Projekt RAU untersuchten die Forschenden an innerstädtischen Straßen in Berlin unterschiedliche Verkehrssituationen: Kurven, Geraden, Anstieg, Kreisverkehr und Ampeln bzw. Lichtsignalanlagen, wie es korrekt heißt. Dazu mussten zunächst neuartige und aufwändige Techniken zur Probenahme entwickelt werden. Dr. Jens Reiber vom Unternehmen Wessling erläuterte die angepasste Probenaufbereitung und die neuartigen Analyseverfahren.

Besonders viel Reifenabrieb fanden die Forschenden im Bereich von Kurven und an Lichtsignalanlagen, also an Stellen, wo die Reifen besonders gestresst werden. Kurven bzw. Kreuzungen, an denen typischerweise viel abgebogen wird, sind dabei deutlich belasteter als Ampeln, wo schließlich auch nicht jedes Auto zum Stehen kommt und wieder anfahren muss. In Geraden und bei Anstiegen entsteht hingegen nur wenig Abrieb. Natürlich im Verhältnis zur Verkehrsmenge gesehen: Je mehr Autos fahren, umso mehr Reifenabrieb entsteht.

Welche Faktoren den größten Einfluss darauf haben, wieviel Reifenabrieb zustande kommt, hat RAU-Kooperationspartner und Reifenhersteller Continental untersucht. Das Ergebnis: Am wichtigsten ist das individuelle Fahrverhalten. Das leuchtet unmittelbar ein, wenn man an Brems- und Beschleunigungsspuren auf dem Asphalt denkt. Wichtig außerdem, in absteigender Reihenfolge: Kurvenverlauf, Straßenbelag, Fahrzeug, Reifendesign, Temperatur und Nässe bzw. Trockenheit. Laut Conti-Experte Dr. Frank Schmerwitz hat die Reibung zwischen Reifen und Straße aber auch eine wichtige Funktion: Dadurch entstehe Grip und mehr Sicherheit im Straßenverkehr.

Wenn es regnet, gelangen zwischen 12 und 20 Prozent des Reifenabriebs in die aquatische Umwelt. Im besten Fall kommt vorher die Kehrmaschine vorbei. Auch dies wurde im Projekt eingehend untersucht. In Versuchen auf der Straße sowie in der Halle analysierte der RAU-Projektpartner Sieker, wieviel Kehricht die Maschinen aufnehmen und welche Teile des Reifenabriebs dabei aufgenommen werden – oder eben nicht. Bereits der Hallenversuch zeigte: Bis zu etwa 80 Prozent der Partikel schluckt die Kehrmaschine, von den Kleinstteilen etwa 55 Prozent. Auf der Straße sind die Werte schlechter, unter anderem weil sich dort Ritzen im Fahrbahnbelag finden und die Kehrmaschine wegen parkender Autos oft nicht direkt am Straßenrand kehren kann. Das Fazit des Projektpartners: Grundsätzlich hat die Straßenreinigung einen guten Effekt, der allerdings verbessert werden könnte. Insbesondere in den Straßenrändern sammelt sich enorm viel Reifenabrieb, der oft nicht aufgenommen werde, berichtete Sieker-Experte Dr. Harald Sommer.

Wo bleibt der Reifenabrieb am Ende? Etwa 60 Prozent gelangt in unsere Böden, 20 Prozent ins Oberflächenwasser, also über das Niederschlagswasser in die Gewässer. Davon geht ein Teil – 2 bis 5 Prozent – über die Flussmündung letztendlich ins Meer. Das klingt erst einmal nach wenig, ist es aber nicht: Bei 1,2 Kilogramm pro Bundesbürger und Jahr sind es 24 bis 60 Gramm und damit insgesamt 1,92 bis 4,8 Millionen Kilogramm Reifenabrieb, mit denen alleine wir Deutschen jedes Jahr die Meere verunreinigen.

Am Ende des Webinars stand die Frage, worin die größten Potenziale liegen, Reifenabrieb in der Umwelt zu reduzieren. Daniel Venghaus empfahl, sich auf den Straßenbelag zu konzentrieren: Am besten sei es, den Reifenabrieb dort möglichst zu halten und mit der Straßenreinigung zu entfernen. Dabei müssten insbesondere die Feinpartikel besser aufgesammelt werden, ergänzte Dr. Harald Sommer. Dr. Frank Schmerwitz setzte auf individuelle Verantwortung, sprich das Fahrverhalten, und eine intelligente Beeinflussung von Verkehrsströmen. Einen praktischen Tipp hatte RAU-Projektkoordinator Prof. Matthias Barjenbruch: Die Straßen vor dem Regen reinigen! Die Touren der Straßenreinigung sollten besser geplant werden. Und natürlich müssten wir als Gesellschaft weniger das Auto, dafür mehr ÖPNV und Fahrrad nutzen.

Text von Wiebke Peters

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