Plastik in Böden: Vorsorge ist Trumpf
Plastik in Böden: Vorsorge ist Trumpf
Jedes Jahr gelangen in Deutschland mehr als 19.000 Tonnen Kunststoffe in die Böden. Über die Folgen weiß man noch wenig, aber eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme legt nahe, rasch und umfassend gegenzusteuern.
Plastikmüll in der Landschaft ist längst vielerorts ein „vertrauter“ Anblick geworden. Dabei ist solch achtlos weggeworfener oder gezielt an Wegesrändern entsorgter Kunststoffabfall einer der maßgeblichen Wege, auf denen Böden mit Plastik kontaminiert werden. Insbesondere wenn es zu Mikroplastik verkleinert wird und sich dauerhaft unter der Erdoberfläche anreichert, kann es negative Folgen haben.
Um die Fragen, wieviel Plastik überhaupt in die Böden gelangt, woher es kommt und welche Gefahren von ihm ausgehen, ging es bei dem Webinar „Plastik in Böden“ Ende Januar 2022. Ein Team um Jürgen Bertling von Fraunhofer UMSICHT, Koordinator des „Plastik in der Umwelt“-Vorhabens PlastikBudget, hat ermittelt, welche Emissionsquellen für landwirtschaftliche Böden von Bedeutung sind. Dazu gehören Produktionshilfsmittel wie Folien, die etwa im Spargelanbau eingesetzt werden, Pflanztöpfe oder Pflanzhilfen wie Clips und Drähte. Viel genutzt werden auch Saatgut, Düngemittel und so genannte Bodenverbesserer. Sie alle sind häufig mit einer Umhüllung aus Polymeren versehen. Damit will man sicherstellen, dass Saatgut zu einem bestimmten Zeitpunkt keimt bzw. Nährstoffe über einen längeren Zeitraum in den Boden abgegeben werden.
Eine weitere wichtige Quelle ist Kompost, der unter anderem durch Fehlwürfe häufig Plastik enthält, und Littering, also Kunststoffmüll, der etwa durch Tourismus oder Großveranstaltungen im Freien in die Umwelt gelangt. Auch in Klärschlamm, der zum Düngen eingesetzt wird, findet sich häufig Plastik. Die in landwirtschaftliche Böden eingetragene Gesamtemission an Kunststoffen beträgt nach den Analysen des Forschungsteams in Deutschland circa 19.000 Tonnen pro Jahr. 19 Prozent davon werden durch die Landwirtschaft selbst verursacht, vor allem in Form umhüllter Düngemittel (ca. drei Viertel) sowie Folien (ca. ein Viertel, das meiste davon aus dem Futterbau). Die übrigen 81 Prozent der Plastik-Gesamtemissionen in Böden setzen sich aus Klärschlamm (54 Prozent) und Verwehungen von Plastikmüll (38 Prozent) zusammen, Komposte und Gärreste machen 8 Prozent aus.
Die Forschenden nahmen keine eigenen Messungen vor, sondern nutzten vorhandene Daten. Die ermittelten Abschätzungen seien dabei konservativ, betonte Jürgen Bertling – womöglich sind die Mengen emittierten Plastiks in die Böden also deutlich größer. Die Verteilung der Einträge ist dabei sehr heterogen: Die Spanne reicht von wenigen Gramm bis zu mehreren hundert Kilogramm pro Hektar und Jahr. Der Befund des Teams ist besorgniserregend: „Wir gehen davon aus, dass der Eintrag von Kunststoffen zu einer Entwertung unserer landwirtschaftlichen Böden führt“, sagt Jürgen Bertling. Ein zu 0,1 Prozent aus Plastik bestehender Boden gilt derzeit als entwertet. Bei der derzeitigen Eintragsdynamik könnten die Böden deshalb in 20 bis 100 Jahren vollständig entwertet sein. „Da der Kunststoffeinsatz derzeit zunimmt, kann sich das sogar noch deutlich beschleunigen“, warnt der Forscher.
Abhelfen könne ein besseres Wiedereinsammeln der Kunststoffe, etwa von Folien, außerdem müssten vermehrt besser abbaubare Kunststoffe genutzt und Abbauzeiten gesetzlich festgelegt werden. Solche Maßnahmen sollten zudem mit einer Bildungsinitiative für Landwirtschaftsbetriebe verbunden werden, die über Möglichkeiten und Pflichten zur Emissions- und Verbrauchsminderung aufklärt und darüber informiert, wie man den Einsatz von Plastik vermeiden und, falls das nicht möglich ist, genutzte Kunststoffe im Kreislauf führen kann. „Über die Schäden wissen wir wenig, dennoch sollten wir im Sinne der Vorsorge darauf hinwirken, dass Plastikemissionen in die Böden zukünftig vermindert werden“, sagte Jürgen Bertling.
Einen genaueren Blick darauf, wie sich Plastik in den Böden auswirkt und ob dies problematisch werden könnte, warf Dr. Annegret Biegel-Engler, Leiterin des Fachgebiets „Maßnahmen des Bodenschutzes“ am Umweltbundesamt. Grundsätzlich kann Mikro- oder Nanoplastik meist nicht aus den Böden entfernt werden. Kunststoffe enthalten oft Additive wie Weichmacher, Flammschutzmittel oder UV-Schutzmittel. Der Abbau in der Umwelt geht sehr langsam vonstatten: Plastikteile werden auf verschiedene Weise zunächst auf Mikro-, dann auf Nanogröße zerkleinert, zum Beispiel durch physikalische Einflüsse wie Abrieb oder UV-Strahlung. Wie lange es dauert, bis Plastik im Boden tatsächlich abgebaut ist, hängt von der Kunststoffart, Partikelgröße und den Umweltbedingungen ab.
Mikroplastik im Boden kann sich auf verschiedene Weise auswirken: Es vermindert die Dichte und damit das Wasserhaltevermögen, ein Effekt, der oft erwünscht ist und im Gartenbau herbeigeführt wird, etwa indem man Styroporkügelchen einbringt. In Laborversuchen bei hohen Mikroplastikkonzentrationen wurden Effekte auf die Lebensdauer, das Wachstum, die Verdauung und die Reproduktion von Bodenorganismen beobachtet. Chemische Additive können, wenn sie von den Kleinlebewesen aufgenommen werden, möglicherweise schädigend für deren Gesundheit sein. „Eine generelle Einschätzung fällt uns noch schwer, aber es deutet sich an, dass Mikroplastik ein relevanter, langfristig wirksamer Stressfaktor für das Ökosystem Boden sein könnte. Aus Vorsorgegründen sollte deshalb gehandelt werden, zumal sich Mikroplastik in Böden auch in andere Ökosysteme verlagern kann, etwa aquatische“, fasste Annegret Biegel-Engler zusammen. Die Biochemikerin wies auf weitere Eintragswege von Mikroplastik in Böden hin, etwa Reitböden und Kunstrasensportplätze, und den Abbau von Windkraftanlagen. Um den Eintrag von Plastik in Böden zu vermindern, sollte man in Deutschland und der EU verschiedene gesetzliche Vorgaben und Maßnahmen nutzen. 2021 bereits in Kraft getreten ist ein weitreichendes Verwendungsverbot für Einweg-Kunststoffprodukte in der Europäischen Union. Für Materialien, die auf oder in Böden eingebracht werden (z.B. Komposte, Klärschlamm), sollten strengere Mikroplastik-Grenzwerte gelten. Dazu sollten die EU-Düngemittelverordnung sowie die Klärschlammrichtlinie, aber auch abfallrechtliche Regelungen novelliert werden. Zusätzlich sollten die Mikroplastikgehalte in Böden untersucht und gegebenenfalls in der Bundesbodenschutzverordnung Vorsorgewerte verankert werden.
Text von Wiebke Peters